Woher der Name Langemarck kommt

1914 stand im deutschen Heeresbericht: Kriegsfreiwilligenregimenter stürmten mit prachtvollem Schwung unter Gesang von „Deutschland, Deutschland über alles“ (bei Ypern bzw. Langemarck) – Man kann sagen, bis heute leben die Völkischen von diese Tatsache. Aber schon damals hatte ich meine Zweifel. Wenn man mal so einen Sturm mitgemacht hat, und da soll man sich vorstellen, daß die gesungen haben? Wie denn gesungen? Während sie vorrannten gegen ratternde Maschinengewehre? Außer Atem singen? Oder während sie auf dem Bauch liegen und schössen, mit dem Gefühl: wenn ich dich nicht totschieße, schießt du mich tot!

Ich habe es ja erlebt, daß einer während eines Sturmes Veilchen gepflückt hat, – nämlich als die vorderste französische Linie überrannt war und sich gerade kein Gegner zeigte. Aber daß einer vaterländische Gefühle gehabt hätte während eines Sturmes, wo einem so viel greifbare Dinge vor Augen kommen, – und vor allem während eines mißglückten Sturmes zu singen? Nein, das ist Lüge, ist eine bloße Phrase, und eine verflucht blutige! Zufällig habe ich später erfahren, wie es mit dem Gesang war.

Man hatte uns als Reserve vorgezogen. Rechts vor uns krachte es. Aus einem Graben schossen sie. Die Granaten ließen Dreck auffliegen. Neben mir beobachtete einer. „Hunde!“ knurrte er. „Was meinst du?“ „Wir sind Hunde, daß wir uns das immer wieder gefallen lassen! Warum laufen wir nicht fort, hinter? Mögen doch mal die Offiziere die Stellung halten!“ „Nicht so laut!“ sagte ich. Er sah mich verächtlich an:“Ja, so seid ihr alle! Ich allein kann natürlich auch nichts machen! Und der Krieg geht immer noch weiter! Alle habt ihr es satt und wollt nach Hause, aber nichts tut ihr!“ Wir beobachteten wieder stumm die Anschläge.

Ich war dabei

„Du mußt das verstehen“, sagte er nach einer Weile. „Ich war bei einem der Freiwilligenregimenter, die 1914 unter Gesang gestürmt haben sollen. Das zu verbreiten war nicht gefährlich, denn es sind nicht viel zurückgekommen, die die Wahrheit hätten sagen können. Selbst war ich ja nicht Kriegsfreiwilliger. Ich war auch älter und begriff etwas mehr als diese unerfahrenen Jungen. Die kamen ja meistens gerade von der Schule. Da hatte man ihnen die große Hurrabegeisterung beigebracht. Vorgehalten hat sie gewöhnlich nicht. –

Wir fuhren mit einem Transportzug hinaus nach Flandern. Auf der letzten Station, da hörten wir so was brummen, und auf dem Bahnhof liegen die Soldaten herum als ob sie alle Stacheln im Arsch hätten. Das gefiel mir schon nicht. _ Wir fuhren weiter, so ein, zwei Stunden. Plötzlich ein wüster Krach ganz nah. Wir ans Fenster. Neben dem Zug auf dem Felde steht so eine schwarze Wolke, rund und ziemlich hoch. – Ramms! Wieder steht so ´ne Wolke da. Zug bremst. Die Räder quietschen.

„Alles heraus! Ausschwärmen!“ brüllt ein Offizier. Wir das Gepack am Riemen genommen. Einem fiel dabei die Stiefelbürste aus dem Tornister: den hatte er in der Eile nicht zugeschnallt. Wie er sich bückt und die Bürste in die Tasche stecken will, erwischt´s ihn. Was er für ´ne Verwundung gehanbt hat, weiß ich nicht. Der Krankenträger Lehmann hat mir später erzählt, daß er ein paar Tage lang phantasiert hat und immer die Bürste in seine Tasche hat stecken wollen.

Am Nachmittag wurden wir dann eingesetzt. So, weißt du, in der gewöhnlichen Art: Sturm, in dieser Richtung, los! Wir haben nicht gewußt, wer uns gegenüberlag und wo wir sind. Und gesehen haben wir nur leere Felder. Da haben wir uns hingeschmissen und haben haben geschossen, wie wir das so gelernt hatten: geradeaus! Vielleicht trifft´s einen. – Bis dahin hatte unsre Artillerie keinen Schuß abgegeben. Jetzt kam es von hinten vorgezischt und schlägt mit zwei Granaten dicht vor unsere Linie. Ich denke mir, jetzt werden sie das Feuer vorverlegen. Da kommen die nächsten Schüsse; dicht hinter die Linie. Verflucht! denke ich. Und gut haben sie geschossen! »He, Sie!“ höre ich jemand brüllen. „Hinterrennen zur Artillerie! Sie schießt auf uns!“

Über den weichen Acker stolpert einer in Todesangst hinter. Schuß auf Schuß setzte unsere Artillerie in unsere Schützenlinie. „Spielmann!“ brüllt die Stimme wieder. „Ist kein Spielmann da? Blasen! Daß sie merken, daß wir´s sind!“ Ein paar Töne stockerten aus dem Hörn. Von vorn zirpten die feindlichen Kugeln. Von hinten stampfte unsere Artillerie. „Singt!“ brüllt die Stimme „Singt Deutschland, Deutschland über alles!“ Zwei, drei Stimmen sangen dünn. Dann wurden es mehr. Wir sangen doch um unser Leben! Aber wir lagen auf dem Bauch und – Fatsch-bumm! schlugen die Granaten ein. Da ging uns immer der Atem aus, wenn´s einschlug. Gebrüllt habe ich was ich konnte. Aber unsere Artillerie hatte nichts davon gehört. Die schoß und schoß. Die Verwundeten wimmerten. Da und dort tauchte der Gesang wieder auf, immer hoffnungsloser: Deutschland, Deutschland über alles. –

Seitdem habe ich das nie mehr mitgesungen! — und ein paar Tage später, – wir waren nur noch so wenig, daß unsere ganze Kompanie in einer Bauernstube lag, – da bringt einer einen Heeresbericht und liest vor: „Mit prachtvollem Schwung stürmten deutsche Freiwilligenregimenter unter dem Gesang von „Deutschland, Deutschland über alles!“ – Wir haben ihn angesehen und haben es nicht geglaubt. Wir sind sogar wütend auf ihn gewesen. Bis wir es selbst gelesen haben. Keiner hat mehr davon gesprochen damals. Aber das hat in uns weitergefressen!“

Ludwig Renn , in: Kurt Kläber: Der Krieg . Das erste Volksbuch vom großen Krieg , Berlin 1929 –
Ludwig Renn, 22.4. 1889 wird als Arnold Friedrich Vieth von Golßenau in Dresden als Sohn eines Mathematikprofessors und Erziehers am Dresdner Hof geboren, im ersten Weltkrieg war er Kompanie- und Bataillonsführer, später dann Schriftsteller , erst Sozialdemokrat und noch später Kommunist. Von Kurt Kläber stammt das berühmte Jugendbuch: Die rote Zora und ihre Bande.