Am Nachmittag wurden wir dann eingesetzt. So, weißt du, in der gewöhnlichen Art: Sturm, in dieser Richtung, los! Wir haben nicht gewußt, wer uns gegenüberlag und wo wir sind. Und gesehen haben wir nur leere Felder. Da haben wir uns hingeschmissen und haben geschossen, wie wir das so gelernt hatten: geradeaus! Vielleicht trifft´s einen. – Bis dahin hatte unsre Artillerie keinen Schuß abgegeben. Jetzt kam es von hinten vorgezischt und schlägt mit zwei Granaten dicht vor unsere Linie. Ich denke mir, jetzt werden sie das Feuer vorverlegen. Da kommen die nächsten Schüsse; dicht hinter die Linie. Verflucht! denke ich. Und gut haben sie geschossen! »He, Sie!“ höre ich jemand brüllen. „Hinterrennen zur Artillerie! Sie schießt auf uns!“
Über den weichen Acker stolpert einer in Todesangst hinter. Schuß auf Schuß setzte unsere Artillerie in unsere Schützenlinie. „Spielmann!“ brüllt die Stimme wieder. „Ist kein Spielmann da? Blasen! Daß sie merken, daß wir´s sind!“ Ein paar Töne stockerten aus dem Hörn. Von vorn zirpten die feindlichen Kugeln. Von hinten stampfte unsere Artillerie. „Singt!“ brüllt die Stimme „Singt Deutschland, Deutschland über alles!“ Zwei, drei Stimmen sangen dünn. Dann wurden es mehr. Wir sangen doch um unser Leben! Aber wir lagen auf dem Bauch und – Fatsch-bumm! schlugen die Granaten ein. Da ging uns immer der Atem aus, wenn´s einschlug. Gebrüllt habe ich was ich konnte. Aber unsere Artillerie hatte nichts davon gehört. Die schoß und schoß. Die Verwundeten wimmerten. Da und dort tauchte der Gesang wieder auf, immer hoffnungsloser: Deutschland, Deutschland über alles. –
Seitdem habe ich das nie mehr mitgesungen! — und ein paar Tage später, – wir waren nur noch so wenig, daß unsere ganze Kompanie in einer Bauernstube lag, – da bringt einer einen Heeresbericht und liest vor: „Mit prachtvollem Schwung stürmten deutsche Freiwilligenregimenter unter dem Gesang von „Deutschland, Deutschland über alles!“ – Wir haben ihn angesehen und haben es nicht geglaubt. Wir sind sogar wütend auf ihn gewesen. Bis wir es selbst gelesen haben. Keiner hat mehr davon gesprochen damals. Aber das hat in uns weitergefressen!“
Ludwig Renn , in: Kurt Kläber: Der Krieg . Das erste Volksbuch vom großen Krieg , Berlin 1929